Westerhüsener Sagen
Das Westerhüsen über eine ganze Reihe eigener Sagen verfügt, ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Spannend sind die alten Sagen jedoch gerade, da sie sich mit unserer Region und Landschaft auseinandersetzen. Orte an denen wir bisher achtlos vorbeigegangen sind, erhalten plötzlich ihre eigene Geschichte. Durch Recherchen im Magdeburger Stadtarchiv konnten zunächst drei Sagen wiederentdeckt werden. In sprachlich erneuerter Fassung werden sie nachfolgend einer breiten Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht, verbunden mit der Hoffnung, dass sie möglichst oft erzählt werden und vielleicht zur einen oder anderen Wanderung anregen. Sollten Sie noch weitere Sagen/Geschichten kennen: unter info@westerhüsen.de oder im Gästebuch würden wir uns über eine Nachricht freuen.
Der Oll-Heinrich-Spring
In alter Zeit befand sich in den Frohser Bergen in einer Talsenke eine kleine Quelle. Die Menschen nannten sie den Oll-Heinrich-Spring. Doch etwas mit dieser Quelle stimmte nicht. Es hieß es spuke dort. So manchem war es gruselig zumute, wenn er sich allein zur Quelle begeben musste. Da die Quelle nun aber von den umliegenden Feldern gut zu erreichen war, schickte so manche Mutter, wenn bei der Feldarbeit das Trinkwasser ausgegangen war, ihre Jüngsten hoch zur Quelle.Bangen Herzens gingen dann die Kinder an den Quell. Meistens war die Sorge unbegründet. Friedlich sprudelte die kleine Quelle. Ein kleines Bächlein murmelte in seinem Bett lustig vor sich hin. Manchmal aber lief der Wassserhohler in wilder Hast mit leerem Gefäß zurück. "Mutter, der olle Heinrich ist wieder da, er ruft "Oll Heinrich; kumm, kumm hierher."
Ja so war´s damals. Viele berichteten den schauerlichen Ruf an der Quelle vernommen und das Weite gesucht zu haben.
Die Geschichte mit dem ollen Heinrich liegt nun schon viele Jahrhunderte zurück. In der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs war auch Westerhüsen häufig heimgesucht und verwüstet worden. Die verbliebenen Bewohner waren arm und litten häüfig Not. Die Felder konnten häufig nicht bestellt werden. Die Äcker verwilderten. In dieser schweren Zeit war der oll Heinrich der Gemeindehirte von Westerhüsen. Ihm wurde nachgesagt, er habe den bösen Blick. Mit seiner Arbeit als Hirte waren die Westerhüsener, trotz seines schon fortgeschrittenen Alters aber sehr zufrieden. Die Tiere gediehen und wenn er des Abends die Herde zurück ins Dorf trieb, strotzten die Euter vor Milch. Häufig trieb Oll Heinrich, wie ihn alle nannten, die Tiere auch in die Frohser Berge, besonders dann, wenn es galt das Vieh vor herumziehenden Söldnern zu verstecken.
Nach dem der Krieg beendet war, begannen sich die Bauern wieder ihre Felder zu bestellen. Allerdingswaren die alten Feldgrenzen längst überwuchert. Da auch die Zeichnungen verbrannt waren, gab es nun manchen streit darum, wem welches Stück Acker gehört und wie genau die Grenzen denn zu ziehen wären. So kam es, dass auch eine Weidegrenze an den Frohsener Bergen zwischen zwei Westerhüsener Bauern umstritten war. Es kam zu einem Prozeß. Da Oll Heinrich sich seit ewigen Zeiten dort auskannte beriefen sich beide Bauern auf ihn als Zeugen. Das Gericht bestimmte einen Lokaltermin in den Frohser Bergen und lud den alten Gemeindehirten als Zeugen.
Am Vorabend des Termins schlich sich im Dunkel eine Gestalt zur Wohnung des Oll Heinrichs. "Heinrich, mak opp!" flüsterte es. Mißtrauisch öffnete Heinrich sein Fenster einen Spalt und sah nach, wer zu so später nicht ungefährlicher Stunde sich an seine Wohnung schlich. Es war Maglin, einer der streitenden Bauern."Du," wisperte der Bauer, "du, Oll Heinrich, willst du dir eine Flasche Schnaps und einen Taler verdienen, dann sag morgen, dass die Grenze hundert Schritte hinter dem Spring entlangzog."Der Bauer sprachs und war auch schon wieder in der Nacht verschwunden.
Der Oll Heinrich rang sehr mit sich. Die vom Bauern gewünschte Aussage war falsch. Aber Schnaps und Geld waren sehr verführerisch.
Am nächsten Morgen stand er früh auf. Für das Gericht zog er seinen Sonntagsanzug an und ging dann zügig zum Spring. Vorsichtig sah er sich dort nach allen Seiten um, ob ihn nicht etwa jemand beobachtet. Dann zog er seine Schuheaus, sprang über das Bächlein und fülltein jeden Schuh zwei Hände voll Sand. Dann wartete er auf das Gericht, was auch tatsächlich kurz darauf erschien. "Seid Ihr der Gemeindehirt Heinrich?" fragte der Gerichtsherr, was Oll Heinrich bejahte. "Könnt Ihr vor Gott und Eurem Gewissen sagen, wo die Grenze ehemals entlangging?" "So war mir der Herrgott zur ewigen Seeligkeit verhelfe, ich kann es." antwortete Heinrich. Er liefvom Spring aus hundert Schritteins Feld. Dann stelte er sich hin, hob den Armund wollte seine Aussage rufen, da verstummte er plötzlich wie vom Donner gerührt. Ganz deutlich hatte er aus dem Grund des Springs eine Stimme rufen gehört: "Oll Heinrich, kumm, kumm hierher, hierher. Hier ist die Scheid." Oll Heinrich fasste sich jedoch ein Herz und als die Gerichtsherren ihm zur Stelle gefolgt waren, sprach er: "So wahr ein Gott lebt, ich stehe mit beiden Füßen noch auf Maglins Boden."
Zwar hatte der Oll Heinrich tatsächlich in den Schuhen den Sand von Maglins Grundstück und sich so versucht zu beruhigen, dass es kein Meineid wäre, stand er ja schließlich auf dem Boden Maglins. Trotzdem ließ ihn sein Meineid nicht mehr zur Ruhe kommen. Die Flasche Schnaps wurde ihm zum Verderben. Er verfiel der Trunksucht und hatte, so heißt es, keine ruhige Stunde mehr.
Eines Abends kehrte dann die Herde ohne ihren Hirten heim. Man fand ihn, tot in sich zusammengesunken, am Quell. Sein treuer Hund saß neben ihm und jaulte traurig. Seine Seele fand wegen des Meineids keine Ruhe mehr. Oft kam sie zum Quell und rief ihm noch übers Grab zu: "Oll Heinrich, kumm, kumm hierher!!"
So war das mit dem meineidigen Oll Heinrich. Der Oll-Heinrich-Spring ist heute vergessen. Ein Vater Timme hat den Quell auf Anweisung des Westerhüsener Gemeindevorstehers zugeschaufelt. "Timme," hatte der Gemeindevorsteher gesagt " schippen Sie das Spring zu. Die Leute können sich ihr Wasser aus dem Rennegraben (den wir heute Pfingstwiesengraben nennen) holen."
Seit dem ist auch vom Oll Heinrich nichts mehr zu hören. Obwohl. Wenn man ganz leise durch die Talsenken der Frohser Berge geht, sollte man auf Oll Heinrich achten. Vielleicht bricht sich auch der Quell nochmals Bahn?
demnächst folgen:
Des Wiesenwärtes Marie
Auf der östlichen Seite der Elbe lebte in einem kleinen, von hohen Pappel umstandenen, auf der Wiese stehendem Haus der Wiesenwärter. Dieser hatte eine Tochter, die als die hübscheste auf dem ganzen Großen Werder galt.
Der Schatz in der Teufelsküche